So. Nach kaum mehr als einem Jahr im Winterschlaf gibt es wieder einen Beitrag von mir. Kaoskoch von Hamburg kocht! hat dazu aufgerufen, typisch deutsche (mit Erlaubnis auch typisch Schweizerische) Gerichte zu kochen, zu verbloggen und zu erzählen woher die Zutaten kommen und wie es zu einem Traditionsgericht der jeweiligen Region geworden ist.
Passenderweise habe ich im September eine Woche im Prättigau in einer Maiensäss verbracht und habe mich an einfachen Gerichten versucht. Schliesslich fand ich kochen auf einem Holzherd schon Herausforderung genug, da mussten nicht noch die Rezepte selber kompliziert sein. So gab es denn Graupeneintopf, Pellkartoffeln mit Quark und eben auch Älplermagronen. Sie gelten als eines der ganz typischen Gerichte der Innerschweiz und der Sennenbauern. Allerdings…. was ist daran denn eigentlich urschweizerisch? Und wie lange gibt es das Gericht schon so oder so ähnlich? Die zweite Frage ist einfach: in dieser Form gibt es Älplermagronen seit etwa 130 Jahren, lang genug um es als Tradition zu betrachten, aber halt gewiss nicht seit den Zeiten des Rütli-Schwurs dabei. in den 1870-80er Jahren kamen die Makkaroni (Magronen) mit den Italienischen Gastarbeitern des Gotthard-Tunnels in die Schweiz und wurden mit Begeisterung aufgenommen von den Bergbauern, da sie leicht zu transportieren waren, lange halten und eine schöne Kaloriendichte mit sich bringen. Alles wichtige Punkte, wenn alle Vorräte auf dem Rücken die Berge hoch transportiert werden müssen.
Ergänzt werden Kartoffeln, die zu der Zeit schon als billige, heimische Zutat betrachtet werden, allerdings kamen auch sie erst im 18. Jahrhundert mit heimkehrenden Söldnern in die Schweiz. Seit dem Mittelalter gab es in mehreren europäischen Nationen Schweizerische Söldner, die mit Beginn der Neuzeit teilweise zu feststehenden Regimenten wurden.Man darf nicht vergessen, dass die Schweiz sehr lange ein armes Bergvolk war und Söldnerei eine der Möglichkeiten war, der Armut und dem Hunger daheim zu entfliehen (wer sich an die Heidi-Bücher erinnert: der Alm-Öhi ist so ein heimgekehrter Söldner). Der wahrscheinlich letzte Rest dieser Tradition ist die Schweizer Garde des Vatikan. Aber so kam es, dass die heimkehrenden Kriegsknechte die Traditionen anderer europäischer Länder, die die Kartoffel schon früher bei sich eingeführt hatten in die Berge zurückbrachten. Auch das keine urschweizerische Zutat. Was haben wir sonst noch? Zwiebeln, Äpfel, Milch, Sahne und Käse. Zwiebeln werden seit gut 2000 Jahren in Mitteleuropa angebaut, seit sie sich mit den römischen Legionären verbreitet haben, das soll wohl als lang genug gelten, um mehr oder weniger heimisch zu sein. Äpfel gibt es auch in Mitteleuropa in Wild- und Kulturform seit prähistorischen Zeiten. Auch wenn der wahrscheinlichste Ursprungsort der heute am häufigsten angebauten Sorten im Kaukasus zu finden ist, ist er doch schon sehr lange eines der Grundnahrungsmittel in den Alpen. Einen schönen Kurzabriss über die Anbaugeschichte des Apfels gibt es übrigens hier. Bleiben noch die Milchprodukte. Milchwirtschaft fing im fruchtbaren Halbmond in prähistorischer Zeit mit der Domestikation von Kuh, Ziege und Schaf an und hat sich recht schnell über Gesamteuropa verbreitet. Der Beginn der Käseherstellung in den Schweizer Bergen ist recht wahrscheinlich mit der Ankunft der Kelten im Alpenraum um 800 v. Chr. angesiedelt – eine echte Milchwirtschaft mit Überschussproduktion und Export gibt es seit ca. dem 9. oder 10. Jahrhundert n. Chr. beides Daten, die Milchprodukte als urschweizerisch einsortieren können.
Älplermagronen sind also eine gelungene Geschichte der Verschmelzung von Einflüssen aus anderen Ländern mit Schweizer Tradition zu einem harmonisch Neuen, das es geschafft hat über etwas mehr als 100 Jahre zu einer neuen Tradition zu werden, die als selbstverständlich Schweizerisch angesehen wird.

Älplermagronen im schlechten Licht
Älplermagronen
für 4
2-3 EL Bratbutter
2 Zwiebeln, in Halbringen
2 Knoblauchzehen, in feinen Scheiben
400 g Kartoffeln, geschält und in feinen Würfeln
250 g Magronen (kleine Nudeln, gern kurze Makkaroni)
1/2 l Gemüsebrühe
200 ml Rahm
100 g Käse, geraffelt (am besten was rezentes aus den Bergen)
Salz, Pfeffer
Apfelmus oder gedämpfte Apfelschnitze
Zwiebel und Knoblauch in der Bratbutter goldbraun braten und bei Seite stellen. Im gleichen Topf Rahm und Brühe aufkochen, Kartoffelwürfel und Nudeln dazu geben und in ca. 10 Minuten al dente kochen. Käse reinschmelzen, und ggf. mit Salz und Pfeffer abschmecken. Auf Tellerchen mit Apfelmus und Zwiebeln verteilen.
Wohlfühlen.
Bonusmaterial aus der Woche in Graubünden

Hier Sommern Schweine und Kühe mit schöner Aussicht

Meine Badewanne

Überall Pilze & ich keine Ahnung, wer davon essbar ist.

Und Kühe. Jeder Wanderweg scheint über eine Kuhweide zu führen.

Meine direkten Nachbarn beim Abendessen.

Nachwuchsbaum im Schraubachtobel

Rundwanderung Alpbüel

Morgensonne zum Frühstück

Prättigau bei Ried mit Dramawolken
Das Gericht passt für alt und jung.
Ja, immer. Und hat den Nachtisch schon integriert.
Älpler Magronen sind schon sehr unsexy zum Fotografieren, aber sie schmecken dafür göttlich 🙂
Liebe Grüsse aus Zürich,
Andy
Das stimmt – gehört leider in die Kategorie ugly food, besonders wenn in schlechtem Licht mit dem Handy fotografiert wird.
Kohlenhydrate mit Kohlenhydraten, Käse & Sahne? Mjam! 😀 Danke für diesen Einblick in die Schweizer Kulinarik, die tollen Bilder und die Erinnerung an das Event (ich wollte da nämlich eigentlich auch noch mitmachen… ).
Liebe Grüße aus Berlin!
Immer eine gewinnende Kombination. Und gern die Erinnerung – mir gefällt der Ansatz sehr zu erzählen, woher Gerichte und deren Zutaten stammen, die als typisch für eine Region angesehen werden.
LIebe Grüsse in die alte Heimat!
Danke für’s Zurückkommen, den Parforceritt durch europäische Vor- und Frühgeschiche der Kulinarik… und das feine Ergebnis.
Dass der Alm-Öhi ein zurückgekehrter Sodat war, wusste ich gar nicht! 🙂
Der Alm-Öhi war Teil eines Regiments in Neapel, dafür hat er erstaunlich wenig italienische Rezepte zurück mit in die Berge gebracht, fand ich. Irgendwo habe ich noch das Heidi-Kochbuch jeweils mit kleiner Erklärung, was für Lebensumstände es zu der Zeit in der Innerschweiz gab. Sehr spannend!